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          Tilman Riemenschneiders Trauernde Maria von Acholshausen im Mainfränkischen Museum     

                                                              Verfasser: Rudi Held  (2007)

                      

Inhaltsverzeichnis:

Einleitung  

1.  Riemenschneiders Leben und sein Weg nach Würzburg

2.  Herkunft der Acholshausener Maria

3.  Geschichte und Ikonographie der Triumphkreuzgruppe

4.  Beschreibung der Skulptur

5.  Einordnung in Riemenschneiders Werk

6.  Einordnung in die Skulptur der Gotik

7.  Zusammenfassung

8.  Literaturverzeichnis

 

 

Abb. 1: Maria aus Acholshausen, Mainfränkisches  Museum Würzburg, 
180,5 cm,  Lindenholz? um 1505. 
Photo: Ulrich Kneise, Eisenach

     Abb.2: Triumphkreuzgruppe Stadtpfarrkirche Aub, 119-130 cm,
                   Lindenholz, um 1505, Photo: Gundermann


  Abb. 3: Darmstädter Triumphkreuzgruppe, Hessisches 
   Landesmuseum Darmstadt, 44-50 cm, Lindenholz, um 1505;
  
Photo: Sina Althöfer

 

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Einleitung

 

Tilman Riemenschneider gilt dem Laienpublikum zusammen mit Veith Stoß als Hauptvertreter der Deutschen Spätgotik. Das Fachpublikum lobt seine Leistung als Werkstattleiter, schließlich habe er in seiner „Skulpturenfabrik“[1] eine sehr große Zahl an Werken in einheitlicher Manier und guter Qualität fertigen lassen. Auch die handwerkliche Beherrschung holzsichtiger Werke wird anerkannt.[2] Eine besondere Erfindungsgabe oder gar einen bewussten Einsatz künstlerischer Mittel wollen manche Autoren bei ihm jedoch nicht erkennen.[3] In der vorliegenden Arbeit will ich zunächst die Frage behandeln, warum sich Riemenschneider ausgerechnet in Würzburg niederließ, um dann am Beispiel der Gestaltung der Maria von Acholshausen den Versuch zu unternehmen, die Bedeutung Riemenschneiders für die Bildhauerkunst der Gotik zu klären.

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1.  Riemenschneiders Leben und sein Weg nach Würzburg

Um 1460 wurde Tilman Riemenschneider in Heiligenstadt im Eichsfeld geboren. Zu seiner Jugend und Ausbildung gibt es keine Belege. Viele Autoren vertreten trotz unsicherer Datenbasis die Ansicht, er habe eine Grundausbildung als Kleriker erhalten.[4] Da sein Werk stilistische Einflüsse aus Ulm, Straßburg und den Niederlanden zeigt, gehen fast alle Autoren davon aus, dass er mindestens die ersteren beiden Orte besucht und bei den dort etablierten Meistern gelernt habe.[5]  

Die Entscheidung Riemenschneiders, sich schließlich in Würzburg niederzulassen, mag durch verwandtschaftliche Kontakte erleichtert worden sein,[6] nach meiner Auffassung war sie aber mit größter Wahrscheinlichkeit wirtschaftlich motiviert. Denn in jenen Jahren um 1483, da Tilman Riemenschneider als Geselle in die Lukasbruderschaft, die Handwerkervereinigung der Maler und Bildhauer, eintrat und damit in Würzburg erstmals aktenkundig wurde, erlebte die Stadt einen wirtschaftlichen Aufschwung.[7] Fürstbischof Rudolf von Scherenberg (1466-1495) war es seit seinem Regierungsantritt  gelungen, Frieden zu halten und die dramatische Staatsverschuldung zu reduzieren. Durch seine aktive Einwanderungspolitik wuchs nicht nur die Bevölkerung sondern auch die Wirtschaftskraft. Trotz der relativ hohen Steuern waren die zahlreichen geistlichen Institutionen und die Bürger zu relativem Wohlstand gekommen.[8] Gleichzeitig hatten sich die ästhetischen und religiösen Vorstellungen verändert. In der von Gerhaert van Leyden ausgehenden neuen bildnerischen Manier wurden die Figuren räumlicher entwickelt, die Körper und ihre Bewegungen im Gewand immer stärker sichtbar, die Gesamtwirkung individueller.[9]  Den älteren, in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts entstandenen, mit weich geschwungenen Faltenbahnen in die Breite strebenden, lieblichen und oft aufwändig gefassten Bildwerken des weichen Stils wurde der Vorwurf gemacht, unziemlich herausgeputzt und unnötig teuer zu sein. Man fürchtete, diese Werke könnten wie Bildgötzen angebetet werden.[10]

Ein Großteil der in Kirchen und Privathäusern stehenden Skulpturen war in diesem Sinne „veraltet“. Man konnte damit rechnen, dass Stifte, Klöster, Bruderschaften und Privatpersonen in den folgenden Jahren einen erheblichen Bedarf an neuen Bildwerken entwickeln würden. Und wie sich zeigen sollte, blieb die Nachfrage nicht auf Würzburg beschränkt. Städte wie Münnerstadt bestellten aus religiösen Gründen und zur Repräsentation. Wallfahrtsorte wie Creglingen verstanden ihre neuen Altäre als Attraktionen, die Besucher und Spendengelder anlocken sollten. [11]

Aus der Zeit um 1480, vor der Niederlassung Riemenschneiders, ist uns in Würzburg keine Werkstatt bekannt, die den zu erwartenden Bedarf in der nötigen Quantität und Qualität hätte bedienen können. Die Situation verlangte nach einem Bildhauer, der in der Lage war, aus der neuen bildhauerischen Manier, den örtlichen Traditionen und seinen ästhetischen Vorlieben eine unverwechselbare künstlerische Handschrift zu entwickeln. Er musste Holz und Steinoberflächen so stofflich gestalten können, dass seine Figuren gegebenenfalls auch ohne farbige Fassung optische Präsenz und erzählerische Kraft gewannen. Und nicht zuletzt sollte er eine große Werkstatt organisieren, mit unterschiedlichsten Auftraggebern verhandeln, und den kommunalpolitischen Aufgaben eines erfolgreichen Handwerksmeisters nachkommen können.

Man darf annehmen, dass Riemenschneider spätestens in den beiden Jahren zwischen seinem Eintritt in die Lukasgilde und der Gründung seiner Werkstatt 1485 die in Würzburg bestehende Marktlücke erkannt hat.[12] Möglicherweise hat er in dieser Zeit auch schon feststellen dürfen, dass sein gestisch zurückhaltender, mimisch zwischen Pathos und Entrückung schwankender Figurenstil den „Würzburger Geschmack“ traf.[13]

Mit seiner Heirat im Jahr 1485 nahm er die Herausforderung einer dauerhaften Niederlassung an. Bis 1525 entstanden in seiner Werkstatt nach bisherigem Forschungsstand nicht weniger als 19 große Schnitzaltäre[14], dazu eine hohe Zahl an Ölberggruppen, Triumphkreuzgruppen, Einzelkruzifixen, Madonnen, Heiligenfiguren, Denkmäler, Grabplatten und schließlich auch profane Arbeiten wie Wappenschilder[15].

Im Jahr 1504 begann mit seiner Berufung zum Ratsherrn Riemenschneiders politische Laufbahn. In der Folge wurde er mehrmals auch in den bischöflichen Oberrat berufen, füllte zahlreiche Ämter aus und wurde für zwei Wahlperioden Bürgermeister. Mit seiner Beteiligung am Bürger- und Bauernaufstand 1525 verlor er jedoch alle seine Ämter, einen großen Teil seines Vermögens, sicher auch das Wohlwollen kirchlicher Auftraggeber und eventuell seine Gesundheit.[16] Er war inzwischen über 65 Jahre alt, die Wirtschaft lag danieder und die Reformatoren kritisierten die Bilder.[17] Zwischen dem Bauernkrieg und Riemenschneiders Tod am 7. Juli 1531 hat seine Werkstatt nichts wesentlich neues mehr hervorgebracht. Von seinen Schülern sind sein Sohn Jörg Riemenschneider, Hans Fries von Mergentheim, Peter Dell der Ältere von Würzburg und Hans Gottwald von Lohr bekannt geworden.[18]

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2.  Herkunft der Acholshausener Maria

Nach Berichten der Vorbesitzer habe unsere Figur zusammen mit einer männlichen Figur (vermutlich Johannes) bis ca. 1880 auf dem Speicher des Acholshauser Bauern Franz Pfeuffer gestanden. Da sich seine Knechte vor der im Dunkeln stehenden Figur gefürchtet hätten, habe er sie zusammen mit der zweiten Figur dem Händler Isaak Strauß aus Gaukönigshofen gegeben. Dieser schürte den wurmstichigen Johannes ins Feuer und verkaufte die Maria um 1895 für 50 Mark an den Würzburger Gürtlermeister Johann Valentin Markert. Aus dessen Besitz wurde sie 1898 für die Städtischen Kunstsammlungen erworben.[19]

Die Deutung unserer Figur als trauernde Maria einer Triumphkreuzgruppe kann als gesichert gelten. Der sie ursprünglich begleitende Johannes, ihre offensichtliche Hinwendung zu einem Objekt links von, ihre Darstellung ohne Attribut, ihre Ausführung für Untersicht, ihr emotionaler Ausdruck und schließlich ihre Monumentalität lassen da keinen Zweifel.[20]

Da bisher keine Archivalien über die Figur bekannt sind, gibt es zu ihrem ursprünglichen Aufstellungsort nur eine Vermutung. Hanswernfried Muth hat sie aufgestellt und auch gut begründet: Für die kleine Dorfkirche in Acholshausen wirke die leicht überlebensgroße Figur zu groß. Und dort sei auch kein passendes Kruzifix überliefert. Unter den erhaltenen Kruzifixen Riemenschneiders würde jenes in der Pfarrkirche in Eisingen der Größe nach zu unserer Maria passen. Laut mündlich überlieferter Ortstradition kam dieses Kruzifix in der Säkularisation 1803 aus dem Prämonstratenserkloster Oberzell bei Würzburg nach Eisingen. Und tatsächlich gehörten beide Orte, Eisingen und Acholshausen, zum Pfarrsprengel des Oberzeller Klosters. So dürfen wir mit Hanswernfried Muth annehmen, dass Tilman Riemenschneider im Rahmen der Erneuerung der Klosterkirche Oberzell unter Abt Christopherus Steffer (1486 - 1507) eine Triumphkreuzgruppe geliefert hat, die dann bei der Schließung des Klosters 1803 auf die beiden Dorfpfarreien aufgeteilt wurde.[21]

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3.  Geschichte und Ikonographie der Triumphkreuzgruppe

Schon in frühchristlicher Zeit sah man im Kreuz das Zeichen des Sieges Christi über den Tod.[22] Der Begriff des Triumphkreuzes (crux triumphalis) wurde aber erst im Mittelalter geprägt. Man verstand darunter ein monumentales Kruzifix, das zwischen Laienkirche und Chor, zum Langhaus gewandt, hoch oben über der Chorschranke oder dem Lettner, hängend oder auf einem Querbalken angebracht war.[23] Als frühes Beispiel gilt das Benno-Kreuz, das ab dem späten 10. Jahrhundert für den Mainzer Dom belegt ist. Ab dem 11. Jahrhundert standen sogenannte Assistenzfiguren unterschiedlicher Art neben dem Kruzifix. Im Neubau der Kathedrale von Canterbury von 1070 assistierten erstmals Maria und Johannes dem Kruzifix. In den folgenden Jahrhunderten entwickelte sich diese Drei-Figuren-Lösung zum Standard der Triumphkreuzgruppe.[24] Ihr theologischer Gehalt war vielschichtig: Das monumentale Kruzifix verwies sowohl auf den Sieg über den Tod als auch auf das Leibesopfer Christi, das unten am früh- und hochmittelalterlichen Kreuzaltar in der Eucharistie nachvollzogen wurde. Mit Maria und Johannes standen die Gläubigen trauernd unter dem Kreuz. Getröstet wurden sie durch den Text von Apg 14, 21, der sie darauf hinwies, dass sie durch das Leiden ins Himmelreich gelangten.[25] Nicht zuletzt war die Bildidee auch durch die Beschreibung der Kreuzigung in Jo 19, 25-27 inspiriert: „Es standen aber bei dem Kreuze Maria […] Als Jesus nun die Mutter und den Jünger, den er liebte, dastehen sah, sagt er zur Mutter: ‚Frau da ist dein Sohn.’ Dann sagt er zu dem Jünger: ‚Da ist deine Mutter.’ Und von jener Stunde nahm der Jünger sie zu sich.“[26]

Für den zeitgenössischen Betrachter bot eine Marienfigur unter dem Kreuz aber nicht nur Zugang zu christologischen Themen, sie war ihm auch Anlass zur Verehrung der Maria selbst. Im Stabat Mater, einem weit verbreiteten Marienlied des Spätmittelalters, wird der volkstümliche Zugang zu unserem Bildthema deutlich:

 

„Christi Mutter stand mit Schmerzen
bei dem Kreuz und weint von Herzen,
als ihr lieber Sohn da hing.
Durch die Seele voller Trauer,
scheidend unter Todesschauer,
jetzt das Schwert des Leidens ging.

Welch ein Schmerz der Auserkornen,
da sie sah den Eingebornen,
wie er mit dem Tode rang.
Angst und Jammer, Qual und Bangen,
alles Leid hielt sie umfangen,
das nur je ein Herz durchdrang.

Ist ein Mensch auf aller Erden,
der nicht muss erweichet werden,
wenn er Christi Mutter denkt,
wie sie, ganz von Weh zerschlagen,
bleich da steht, ohn alles Klagen,
nur ins Leid des Sohns versenkt?  

…“ [27]  

In diesen Strophen richtet sich das Mitleid weniger auf Jesus denn auf Maria. Das selbst beschlossene Sterben eines menschgewordenen Gottes für die Sünden der Welt bleibt auch bei intensiver mystischer und eucharistischer Praxis letzten Endes abstrakt. Die Trauer Mariens über den Tod ihres Kindes aber war ein Leiden, das der Betrachter aus konkreter eigener Erfahrung kannte. So wurde die Mutter unter dem Kreuz zum Bindeglied zwischen der Lebenswelt des Betrachters und dem abstrakten Gott. Als Leidende war sie irdisch und nah. Als Mutter, die ihr Schicksal vorbildhaft getragen hatte, war sie - in den Himmel erhöht - Zuflucht und Hoffnung.

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4.  Beschreibung der Skulptur  

Technik und Zustand:

Die Figur ist vermutlich aus Lindenholz, 180,5 cm hoch, nahezu vollrund gearbeitet aus einem großen Block mit schmalen angedübelten Anstückungen an den Seiten. Sie ist gehöhlt und trägt ein rückseitiges Verschlussbrett. Der rechte Vorderfuß, der kleine Finger und der Ringfinger der linken Hand sind abgebrochen. Kopf- und Halstuch sind mit Kerbschnitt plissiert. Die Figur war ursprünglich gefasst; es finden sich geringe Reste der Erstfassung. Sichtbar ist überwiegend eine frühe Zweitfassung, die 1998 restauriert wurde. [28]  

Gestaltung und Wirkung:

Die Trauernde Maria (Abb.1) ist leicht überlebensgroß und wirkt durch ihren geschlossenen Umriss monumental. Ihre von der Figur aus gesehen rechte Kontur fällt sehr ruhig und bildet einen langen konvexen Bogen. Im Vergleich mit der erhaltenen, ähnlich aufgebauten und etwa gleichzeitig von Riemenschneider und seiner Werkstatt gefertigten Triumphkreuzgruppe in Aub (Abb.2) wird erkennbar, dass der auf der Gegenseite stehende Johannes ebenfalls eine langbogige Außenkontur besitzt. Diese äußeren Konvexitäten wirken wie ein Rahmen, ja sie halten die Gruppe wie Klammern zusammen. Der Bogen der von der Figur aus gesehen linken Kontur unserer Maria hat einen kürzeren Radius und wirkt im Zusammenspiel mit Kopf- und Körperhaltung wie ein Fingerzeig auf den Gekreuzigten in der Mitte der Gruppe.

Unsere Figur steht auf einer leicht ansteigend gedachten, flachen Plinthe. Ihr rechter Fuß ist leicht vorgestellt und dadurch sichtbar, der linke ist unter dem wenige Zentimeter über die Plinthe fallenden Gewand verborgen. Konturen und Volumen des überlängten Unterkörpers werden im Wesentlichen durch den Mantel und das Kleid gebildet. Der Goldsaum des vor den Körper gezogenen weißen Mantels steigt dabei vom linken Unterschenkel zum rechten Knie diagonal an und bildet ein erstes in die Höhe führendes Moment. Seitlich des rechten Oberschenkels schlägt der Mantel um und bildet mit seiner roten Innenseite eine schmale, über die Hüfte aufsteigende Farbfläche, die die vertikale Tendenz fortsetzt. Im Zusammenhang mit den dort senkrecht verlaufenden Faltenzügen entsteht eine senkrechte Achse, die wie eine Stütze unter dem rechten Ellenbogen aufgefasst werden kann.

Die geschwungene Hauptachse der Figur beginnt jedoch mittig des rechten Fußes mit einem diagonal zur linken Seite aufwachsenden Faltenzug, der die Goldborte des Mantels überwindet und sich in zwei V-förmige, an Schüsselfalten erinnernde Faltenzüge mit vertikaler Orientierung fortsetzt. Diese gliedern einerseits die große frontale Mantelfläche und geben andererseits der S-förmigen Hauptachse soviel Schwung, dass sie die horizontale Barriere des linken Unterarms überwinden und in die Aufwärtsbewegung des schlanken Oberkörpers einmünden kann. Körper und Stand werden vom Gewand dabei umhüllt aber nicht völlig verborgen. Die Falten folgen in recht organischer Weise einer schlüssig präsentierten Ponderation. Mit dem vorgestellten Fuß und dem deutlich im Gewand vortretenden Knie ist das rechte Bein als Spielbein gekennzeichnet. Die rechte Hüfte sinkt konsequent ab und lässt das linke Bein als Standbein erahnen. Der Oberkörper folgt der Kippung des Beckens nach rechts. Auch die Schultern neigen sich nach rechts, denn ein Kontrapost wäre im Zusammenhang der Gesamtkomposition der Gruppe nicht so wirkungsvoll wie die von Riemenschneider gefundene Lösung. Es geht dem Bildhauer offensichtlich nicht darum, der Einzelfigur eine völlig natürliche Verteilung ihres Gewichts zu geben; es geht ihm um den formalen Zusammenklang, um die Balance der Gruppe. Stünde die Maria allein, hätte sie nur ihre Außenkontur als Stütze und man müsste angesichts ihres nicht über dem Standbein liegenden Schwerpunkts fürchten, sie fiele nach rechts. Vergleicht man jedoch wieder mit der Auber Triumphkreuzgruppe (Abb.2), dann wird erkennbar, dass die formalen Gravitationskräfte des spiegelbildlich ponderierten Johannes und des monumentalen Kruzifixes das Fallen der Maria verhindern.

Das so gesicherte Standmotiv, gibt dem Bildhauer nun Gelegenheit, den Oberköper zu einem nach meiner Auffassung inhaltlich ambivalenten Motiv zu entwickeln. In einer Drehung des Oberkörpers und einer Neigung des Kopfes verbindet sich Maria mit ihrem gekreuzigten Sohn. Die mimische Gestaltung des bleich gehaltenen großflächigen Gesichts mit seinen geröteten Wangen, den scharf geschnittenen Brauen und der langen Nase lässt auch aus der Ferne eine äußerlich gefasste Trauer erkennen und folgt damit offenbar der im Stabat Mater dokumentierten zeitgenössischen Vorstellung, sie stünde „bleich“ und „ohn alles Klagen“ unter dem Kreuz (siehe Strophe 3 in Kapitel 3). In Riemenschneiders Gestaltung spielt sich das Klagen innerlich ab, deshalb kann ihr Blick nichts Äußeres fassen. Die kraftlos fallende rechte Hand betont die innere Verzweiflung; theologisch korrekter könnte man auch sagen, sie betone die demütige Ergebenheit. Die nach dem aufbauschenden Schleier greifende linke Hand setzt ein Bewegungsmotiv in die ruhige Komposition und belebt oberflächlich gesehen die Ansichten von der Seite und aus der Ferne.

Inhaltlich ambivalent nenne ich den Figurenaufbau deshalb, weil die Maria aus Acholshausen sich dem Gekreuzigten nach meiner Beobachtung nicht nur zuwendet. Sie scheint gleichzeitig auf subtile Weise vor dem Schrecken des Todes zurück zu weichen.[29] Eventuell setzte Riemenschneider damit die im Stabat Mater dokumentierte Vorstellung, Maria sei „von Angst und Jammer … umfangen.“ ins Bild (siehe Strophe 2 in Kapitel 3). Dem hoch aufwachsenden S-Schwung folgend gerät ihr Oberkörper weit nach außen und ihr Kopf neigt sich nur leicht zur Mitte. Die Wendung zum Kruzifix bleibt scheu und vorsichtig. Die nach dem aufbauschenden Schleier greifende linke Hand halte ich in diesem Sinne nicht für ein allgemein belebendes Motiv sondern für ein psychologisches: In einer Art Übersprungshandlung drückt die Hand jene Unsicherheit aus, die einen Menschen im Zwiespalt von Annäherung und Distanzierung befällt.

Betrachtet man die Figur allein, dann springen meine Beobachtungen vielleicht nicht sofort ins Auge. Im Vergleich mit den Marienfiguren in Riemenschneiders Kreuzigungsgruppen in Aub (Abb.2) und Darmstadt[30] (Abb.3) fällt jedoch auf, dass Körper- und Handhaltungen dort jeder Ambivalenz entbehren und sich im Verweis auf den Heiland erschöpfen.

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5.  Einordnung in Riemenschneiders Werk

Zur Datierung der Figur um 1505 werden in der Literatur verschiedene Indizien angegeben. Allgemein beobachten die Autoren einen Stilwandel von detailreichen und räumlich entwickelten Figuren im Frühwerk Riemenschneiders (z.B. Münnerstädter Altar) zu abstrahierten und eher graphisch gehaltenen Bildungen im Spätwerk (z.B. Volkacher Rosenkranzmadonna).[31] Den Wandel sieht Muth um 1505 wirksam werden und datiert unsere Figur in diese Zeit, da sie mit ihrem abstrakt und großflächig gebildeten Gesicht und der klaren Gliederung der Frontalansicht schon Merkmale des Spätstils zeige.[32] Ich halte dies für ein problematisches Argument. Denn wie Chapuis richtig schreibt,[33] hat Riemenschneider seine Werke auf ihre Funktion und ihren Aufstellungsort hin konzipiert. Bei kaum einer anderen Figur Riemenschneiders wird das so deutlich wie bei unserer. Mit ihrer im Gesamtwerk außergewöhnlichen Größe war sie sicherlich zur Aufstellung in großer Höhe in einem großen Kirchenraum bestimmt, vermutlich auf einem Chorbogenbalken in ca. 8 m Höhe, wie man ihn z.B. für die Klosterkirche Oberzell für das späte Mittelalter annehmen darf. Um sie nun für die Untersicht aus größerem Abstand wirksam zu machen, sind Unterkörper und Hals überlängt, Gewand und Gesicht klar gegliedert. So können jene Eigenschaften der Figur, die Muth als Stilmerkmale ansieht, auch der Aufstellungshöhe geschuldet sein. Er räumt schließlich auch ein, dass unsere Figur wegen ihrer Größe schwer mit anderen Werken Riemenschneiders verglichen werden kann.[34]

Ebenso problematisch erscheint mir die Datierung über einen Vergleich mit der Gruppe in Aub, wie sie z.B. im Katalog der Ausstellung „Werke seiner Blütezeit“ von 2004 vorgenommen wurde.[35] Unsere Figur hat mit der Auber Maria zwar offensichtliche Gemeinsamkeiten in der Gewandbildung, aber sie zeigt, wie in Kapitel 4 ausgeführt, auch Unterschiede. Da keine anderen großen Triumphkreuzgruppen Riemenschneiders überliefert sind, fehlen Vergleichsmöglichkeiten. Und schließlich ist die Auber Gruppe genauso wenig wie unsere Figur durch Quellen datiert, sondern durch einen Vergleich mit den archivalisch auf 1500-1506 datierten Aposteln der Würzburger Marienkapelle. Da scheint es doch sinnvoller, Claudia Lichte zu folgen, die sich den Umweg über Aub spart und die Acholshausener Maria direkt mit den Aposteln vergleicht. Dabei kommt sie zu dem Ergebnis, dass unsere Figur mit ihrer kantigen und rundlaufenden Faltenführung und dem charakteristischen Faltennest unter dem linken Ellenbogen den Würzburger Aposteln ähnlich ist.[36]

So scheint die Datierung um 1505 doch plausibel. Wenn man will, kann man sie sogar mit einer Quelle stützen. Denn jener Oberzeller Abt, der seine Klosterkirche renovieren ließ und in diesem Rahmen unsere Maria womöglich bei Riemenschneider bestellt hat, ist nach den Akten im Jahr 1507 verstorben.[37]  

Nun wäre noch zu fragen, welcher Rang der Maria im Gesamtwerk des Meisters zukommt. Die schnitzerische Qualität ist jedenfalls bis ins Detail sehr hoch.[38] Mit dem langen und schlanken S-Schwung schuf er hier auch eine seiner elegantesten Figuren. In meinen Augen ist sie ein Paradebeispiel seiner künstlerischen Handschrift: Aus einer strengen Gesamtanlage setzte er die Emotion der Figur, hier die demütige Trauer, mit zurückhaltender Mimik und Gestik subtil und leise ins Bild. Dabei sehen wir kein äußerliches Klagen, aber einen Blick, der innere Verzweiflung sichtbar macht. So steht sie ganz körperlich vor uns und ist gleichzeitig der Welt entrückt.

In optischer Hinsicht hat er sie auf gekonnte Weise für ihren hohen Aufstellungsort konzipiert. Er verstand es auch, ihr spannungsreiche formale Bezüge zu den anderen Figuren der Triumphkreuzgruppe zu geben und dabei die zentrifugalen und zentripetalen Kräfte der Komposition in Balance zu halten.[39]

In den inhaltlichen Bezügen zum mittig stehenden Kruzifix zeigt sich dann endgültig, warum die Acholshausener Maria als ein Hauptwerk Riemenschneiders gelten kann und in ihrer Qualität höher einzuschätzen ist als die Marienfiguren der Auber oder Darmstädter Gruppe. In ihrer Hinwendung zu Christus bleibt sie scheu, als weiche sie vor dem Schrecken des Todes zurück. Die psychologische Charakterisierung ist hier äußerst treffend und geradezu modern. In ihrer Unsicherheit greift sie nach dem Schleier und gewinnt so eine berückende Ambivalenz, die den anderen beiden, eher eindimensionalen Marienfiguren fehlt.[40]

Man mag nun einwenden, ich hätte Merkmale der Figur überinterpretiert, die nur aus schlichter Tradition oder handwerklichem Zufall aufgetreten seien. Dem halte ich die Beobachtung entgegen, dass die handwerklich makellosen, subtil ponderierten und psychologisch treffend charakterisierten Figuren in Riemenschneiders Werk nicht zufällig sondern immer an ganz bestimmten Punkten auftreten, nämlich bei den Prestige-Aufträgen, den Material-Erstlingen und den künstlerischen Innovationen - also beim Münnerstädter Altar, dem ersten holzsichtigen in seinem Werk, bei Adam und Eva, den ersten Sandsteinfiguren im öffentlichen Raum, beim Scherenbergdenkmal, dem ersten Bischofsgrabmal und Marmor-Erstling, bei Christus Salvator für den prestigeträchtigen Hochaltar im Würzburger Dom[41], und eben auch bei der größten Triumphkreuzgruppe seines Werks für das reiche und überregional bekannte Kloster der Prämonstratenser in Oberzell.

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6.  Einordnung in die Skulptur der Gotik

Von Chartres über Reims nach Strassburg löste sich die Skulptur aus ihrer architektonischen Gebundenheit und gewann Bewegung und Raum.[42] Im selben Maße, in dem die Figuren aus den Nischen der Kathedralen traten, verließen auch die Bildhauer die Bauhütten und ließen sich an auftragsreichen Standorten nieder. Um 1400 sorgte die nahezu europaweit verbreitete Nachfrage des aufstrebenden Bürgertums nach weich und lieblich gehaltenen Figuren für eine international einheitliche Stilstufe.[43] Im Verlauf des 15. Jahrhunderts wurden die weichen Faltenschwünge aber von einer sehr differenzierten, härteren und oft kantigen Gewandbildung hoher Expressivität abgelöst. Inspiriert vom Realismus der niederländischen Malerei, von der Dramatik der Figuren Rogier van der Weydens und von der Räumlichkeit und Individualität der Skulpturen Nikolaus Gerhaert van Leydens widmeten sich die Bildhauer des süddeutschen Raumes einer neuen Aufgabe, dem geschnitzten Wandelaltar.[44] Wurden in dessen Mittelschrein zunächst monumentale Heiligenfiguren im Sinne einer Sacra Conversazione nebeneinander gestellt, wie zum Beispiel bei Veith Herlins Altar in St. Jakob zu Rothenburg ob der Tauber aus dem Jahr 1466, so erschienen Ende des Jahrhunderts anstatt der äußerlich unverbundenen Heiligenfiguren dynamische Ereignisbilder im Altar, in denen alle Figuren erzählerisch aufeinander bezogen waren, so zum Beispiel in Tilman Riemenschneiders Heiligblutaltar von 1505 in derselben Kirche im Chor gegenüber.[45] Ich möchte diese Altäre als das große Finale der gotischen Skulptur bezeichnen. Sehr verwandt mit den Schreinfiguren der Altäre - und insofern Teil des Finales - ist die Maria von Acholshausen. Denn die für die Schreinszenen wichtige psychologische Ausrichtung auf Partnerfiguren erkenne ich auch an ihr (siehe Kapitel 4 und 5). Stefan Kummer sieht in ihrem Gesicht schon das Ideal ruhiger, klassisch-harmonischer Wirkung und weißt darauf hin, dass Riemenschneider mit dem Grabmahl Lorenz von Bibras im Würzburger Dom (1515-1522) die Schwelle vom Mittelalter zur Neuzeit mit voller Bewusstheit überschritten habe.[46] Ich halte die etwa 10 Jahre vor dem Grabmahl entstandene Maria jedoch noch für ein ganz und gar spätgotisches Werk. Und dies nicht nur wegen des überlängten S-Schwungs oder den kantigen Falten des umhüllenden Gewandes sondern vor allem deshalb, weil jene Gestaltungsmittel wie Anatomie, Ponderation, Umriss, Masse, Volumen und Bewegung, die in der Renaissance eigene Rechte bekommen werden, noch ganz den Beziehungen zu den Partnerfiguren und der Gesamtwirkung der Gruppe untergeordnet sind.

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7. Zusammenfassung:

Einerseits ist es ein Glück, dass der Werkstattleiter Riemenschneider seine „Skulpturenfabrik“ über vierzig friedliche Jahre betreiben konnte und viele „Fabrikarbeiten“ bis heute erhalten geblieben sind. Andererseits beeinträchtigt die schiere Zahl der Wiederholungen im Gesamtwerk unseren Blick auf den Künstler Riemenschneider.[47] Wir erwarten heute von einem Künstler höchste Individualität, ständige Erfindung, selbstvergessene Hingabe an eine künstlerische Vision und im Ergebnis eine Provokation des Publikums. Damit werden wir dem Kunstbetrieb des späten Mittelalters nicht gerecht.

Im Gegensatz zu seinem Zeitgenossen Albrecht Dürer standen dem Bildhauer Riemenschneider keine druckgraphischen Verfahren zur Vervielfältigung seiner Kunst zur Verfügung. Ihm blieb nur der Aufbau einer großen Werkstatt und die Schulung seiner Mitarbeiter. Dass dabei nicht immer erste Qualität entstehen konnte, liegt auf der Hand. Blicken wir auf die Maria aus Acholshausen und mit ihr auf jene Werke, die wegen ihrer Bedeutung, nach allem was wir wissen, vom Meister eigenhändig und oft in einem mehrjährigen Arbeitsprozess geschaffen wurden, dann wird deutlich, dass die Popularität Riemenschneiders nicht nur das Erbe des Historismus und Nationalismus des neunzehnten Jahrhunderts ist. Er beeindruckt sein Publikum bis heute mit seiner Erfindung, die Emotion seiner Figuren nicht bloß auszudrücken sondern durch subtile Wahl der künstlerischen Mittel von der gestischen Oberfläche ins Innere des Materials zu holen. Damit erfüllte er ein tiefes Bedürfnis seiner Epoche, in einer Skulptur nicht nur ein bildnerisches Werk sondern auch seelisches Leben zu erkennen.  

 

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Fußnoten

[1] Baxandall 1996, S. 191

[2] Bialostocki 1972, S. 118

[3] Als Indiz dafür mag gelten, dass Jan Bialostocki in seinem Propyläenband von 1972 mit dem Titel ‚Spätmittelalter und beginnende Neuzeit’ über Veith Stoß ganze Absätze schreibt, Tilman Riemenschneider aber nur dreimal in einem Nebensatz erwähnt und kein einziges seiner Werke in den Katalog aufnimmt. Baxandall setzt sich in seiner Monographie über die ‚Kunst der Bildschnitzer’ (deutschsprachige Ausgabe 1996) zwar intensiv mit Riemenschneider auseinander, beendet seine Ausführungen jedoch mit der Bemerkung, Riemenschneider habe kaum einzelne Umstände seiner Umgebung isoliert wahrgenommen oder künstlerische Mittel bewusst angewandt. Bialostocki 1972, S. 112, 116-119; Baxandall 1996, S. 199;

[4] Eine solche Ausbildung hätte für die Einschätzung seines Werks durchaus Bedeutung. Ausgangspunkt dieser verbreiteten Vermutung ist eine Würzburger Aktennotiz über einen Kleriker des Namens „Tilmannus Rimensneider“ aus dem Jahr 1479 (Würzburg, Diözesanarchiv, S.3, fol. 30v, 38, 39-41v.). Ohne weitere Umschweife erkennen Autoren wie Iris Kalden-Rosenfeld im Kleriker den Bildhauer (Kalden-Rosenfeld 2006, S. 17). Hans Peter Trenschel begründet die Gleichsetzung immerhin noch mit Riemenschneiders Gewandtheit im schriftlichen Ausdruck und seinem Selbstbewusstsein im Briefwechsel mit hohen Geistlichen (Trenschel 2004, S. 41-42). Liest man jedoch bei Erik Soder von Güldenstubbe über das soziale und familiäre Umfeld unseres Meisters (Soder von Güldenstubbe 1981, S. 3-4), dann muss man Julien Chapuis zustimmen, der darauf hinweist, dass der Name sehr verbreitet war und es sich bei dem in den Akten genannten Kleriker auch um eine andere Person handeln kann (Chapuis 2004, S. 22).

[5] So z.B. Muth 1982, S. 10; Krohm 1999, S. 47-59 und Chapuis 2004, S. 23. Michael Baxandall jedoch hält solch ausgedehnte Reisen nicht für selbstverständlich und nur die Ausbildung in der thüringischen Heimat und in Ulm, eventuell bei Michel Erhart, für gesichert. Der oberrheinische Einfluss könne, so Baxandall, auch durch die Stiche Martin Schongauers vermittelt sein, der niederländische durch entsprechende Exporte in die thüringische Heimat (Baxandall 1996, S. 335), der Einfluss Gerhaert van Leydens schließlich durch die Stiche des Meisters E.S. (Baxandall 1996, S. 28-29).

[6] Tilmans einziger nachweisbarer Verwandter in Würzburg war sein Onkel Nikolaus Riemenschneider, Notar und Fiskal des Würzburger Bischofs, der 1478, fünf Jahre vor Tilmans gesicherter Anwesenheit in Würzburg, verstarb und als Kleriker wohl keine Familie hinterließ. Siehe Muth 1982, S.8 und Soder von Güldenstubbe 1981, S. 3-6

[7] Brückner 2004, S. 32

[8] Baxandall 1996, S. 185, 195-196

[9] Bialostocki 1972, S. 106-111; Baxandall 1996, S. 20-30, 102, 168-170:

[10] Baxandall 1996, S. 102-104

[11] Brückner 2004, S. 32

[12] Hartmut Krohm äußerte die Vermutung, dass Fürstbischof v. Scherenberg Riemenschneider persönlich nach Würzburg berufen haben könnte (Krohm 2006, S. 99). Belege gab er dafür nicht an. Womöglich inspirierte Krohm die portraithafte Gestaltung der Scherenbergfigur im Würzburger Dom zu seiner These. Die sehr intensive Darstellung suggeriert eine besondere persönliche Beziehung zwischen dem Bildhauer und dem Dargestellten - tatsächlich ist jedoch kein einziger Auftrag Scherenbergs an unseren Meister bekannt. Riemenschneiders Tätigkeit für den bischöflichen Hof beginnt erst unter Lorenz von Bibra (1495-1519). Siehe dazu Kalden-Rosenfeld 2004B, S. 107.

[13] Da Riemenschneiders Figurenstil solchen Erfolg in Würzburg und Umgebung hatte, könnte man auch die These aufstellen, dass er seine Gestaltungsmittel passend zu den in Würzburg bestehenden Anforderungen erst vor Ort ausgebildet habe. Sein Stil begegnet uns jedoch bereits im Frühwerk in ganzer Ausprägung (siehe dazu die Ausführungen über das „WiblingerRetabel“ in Kalden Rosenfeld 2006, S. 22-23 und Buczyinski et al. 1981 S. 24-32). So ist es wahrscheinlich, dass sich in diesem Fall der örtliche „Geschmack“ und der Stil eines Meisters glücklich trafen oder die gestalterischen Lösungen und die handwerklichen Fähigkeiten Riemenschneiders derart überzeugten, dass das Publikum gar nicht anders konnte, als dem Meister auf seinem Weg zu folgen.

[14] Brückner 2004, S. 34

[15] Werkkatalog bei Kalden-Rosenfeld 2006, S. 126-166. Dieser ist jedoch nicht vollständig, da nur Werke aufgenommen wurden, deren Zuschreibung unumstritten ist. Sobald bei einem Werk Zweifel an der Urheberschaft Riemenschneiders oder seiner Werkstatt geäußert wurden, fehlt es. Sogar der Wiener Adam oder die hochinteressante Kreuzigungsgruppe aus Darmstadt sind nicht verzeichnet. Siehe Kapitel 4 und Abb. 3.

[16] Zu Riemenschneiders politischer Laufbahn siehe Kalden-Rosenfeld 2004A, S. 58-64; zu seiner Rolle im Bauernkrieg Trenschel 2004, S. 50

[17] Brückner 2004, S. 31

[18] Eine ausführliche Diskussion der Werke der genannten Schüler findet sich bei Schneider 2004, S. 195-208 und Kammel 2004, S. 209-224, eine kurze Darstellung bei Kalden-Rosenfeld 2006, S. 121-125.

[19] Muth 1982, S. 138; Schürmann/Lichte 2004, S. 259

[20] Siehe die Beschreibung der Figur in Kapitel 4.

[21] Muth 1982, S. 136

[22] LCI, Bd. 4, S. 356

[23] Ebd.

[24] Ebd. S. 358

[25] Ebd. S. 356

[26] Herder-Bibel 1965

[27] Dies sind die ersten drei von zehn Strophen des Stabat Mater, zitiert nach der gereimten Übertragung aus dem lateinischen Original von Heinrich Bone aus dem Jahr 1847, abgedruckt in: Gottesdienst, Gebets- und Gesangbuch für das Erzbistum München und Freising, München 1958. Sie spielen auch bei der Interpretation der Figur in Kapitel 4 eine Rolle.

[28] Muth 1982, Nr. 31, S. 136; Lichte 2004A, Nr. 14, S. 259

[29] In der mir zugänglichen Literatur wird diese Beobachtung bisher nicht diskutiert. Siehe v. Freeden 1972, S.40; Muth 1982, Nr. 31, S. 134; Lichte 1997, Nr. 44, S. 104; Lichte 2004A, Nr. 14, S. 259; Kalden-Rosenfeld 2006, Nr. 50, S. 147

[30] Derzeit als Leihgabe im Mainfränkischen Museum Würzburg. Über die Zuschreibung der Assistenzfiguren wird diskutiert. Lit: Gerstenberg 1962, S. 188; Bier 1978, S.78-79; Muth 1981, S. 240-241; Chapuis 1999, Nr. 33, S. 290-293

[31] Chapuis 2004, S. 34-36

[32] Muth 1982, Nr. 31, S. 136

[33] Chapuis 2004, S. 35

[34] Muth 1982, Nr. 31, S. 136

[35] Lichte 2004A, S.259

[36] Lichte 1997, S. 104; Lichte 2004B, S. 96

[37] Muth 1982, S. 136

[38] Lichte 2004A, S.259

[39] Da hier die Gruppe nicht erhalten ist, scheint es mir erlaubt, die Figurenbeziehungen der Auber und Darmstädter Gruppe auf unser Beispiel zu übertragen.

[40] Siehe Kapitel 4 und Abbildungen 1-3

[41] Heute befindet sich die Figur in der Pfarrkirche in Bibelried.

[42] Sauerländer 1979, S. 40-60

[43] Bialostocki 1972, S. 31-40

[44] Ebd. S. 106-111

[45] Ebd. S. 116-119

[46] Kummer 2001, S. 448

[47] Zum Thema Werkstattbetrieb und Wiederholung siehe Kalden-Rosenfeld 2004A, S. 64-72 und  Lichte 2004B, S. 83-103  


              

                                                                                        8.  Literaturverzeichnis

 

Baxandall 1996

Michael Baxandall: Die Kunst der Bildschnitzer, dritte, durchgesehene Auflage, München 1996.

 

 

Bialostocki 1972

Jan Bialostocki: Spätmittelalter und beginnende Neuzeit, Propyläen Kunstgeschichte Band 7, Berlin 1972.

 

 

Bier 1978

Justus Bier: Tilman Riemenschneider, die späten Werke in Holz, Wien 1978.

 

 

Buczynski et al. 1981

Bodo Buczynski et al.: Tilman Riemenschneider- Frühe Werke,  Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Mainfränkischen Museum, Berlin 1981.

 

 

Brückner 2004

Wolfgang Brückner: Kult und Kunst um 1500. Riemenschneider und die Glaubenswelt seiner Zeit, in: Jürgen Lenssen (Hg.): Tilman Riemenschneider, Werke seiner Glaubenswelt, Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Museum am Dom, Würzburg 2004, S. 31-50.

 

 

Chapuis 1999

Julien Chapuis et al.: Tilman Riemenschneider, Master Sculptor of the Late Middle Ages, Katalog zur gleichnamigen Ausstellung, Washington/New York 1999/2000

 

 

Chapuis 2004

Julien Chapuis. Die Kunst Tilman Riemenschneiders - Ursprung, Charakter, Wirkung, in: Claudia Lichte (Hg.): Tilman Riemenschneider, Werke seiner Blütezeit, Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Mainfränkischen Museum, Würzburg 2004, S. 19-40.

 

 

Gerstenberg1962

Kurt Gerstenberg: Tilman Riemenschneider, München 1962

 

 

Kalden-Rosenfeld 2004 A

Iris Kalden-Rosenfeld: Tilman Riemenschneider, Werkstattleiter und Ratsmitglied, in: Claudia Lichte (Hg.): Tilman Riemenschneider, Werke seiner Blütezeit, Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Mainfränkischen Museum, Würzburg 2004, S. 57-81.

 

 

Kalden-Rosenfeld 2004 B

Iris Kalden-Rosenfeld: Tilman Riemenschneider und seine Förderer, in: Claudia Lichte (Hg.): Tilman Riemenschneider, Werke seiner Blütezeit, Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Mainfränkischen Museum, Würzburg 2004, S. 105-118.

 

 

Kalden-Rosenfeld 2006

Iris Kalden-Rosenfeld:  Tilman Riemenschneider und seine Werkstatt, 3.aktualisierte Auflage, Königsstein im Taunus 2006

 

 

Kammel 2004

Frank Matthias Kammel: Auf Abwegen. Peter Dell der Ältere, ein Schüler Tilman Riemenschneiders, in: Claudia Lichte (Hg.): Tilman Riemenschneider, Werke seiner Blütezeit, Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Mainfränkischen Museum, Würzburg 2004, S. 209-224.

 

 

Krohm 1999

Hartmut Krohm: The sources of Riemenschneiders Art, in: Julien Chapuis et al.: Tilman Riemenschneider, Master Sculptor of the Late Middle Ages, Katalog zur gleichnamigen Ausstellung, Washington/New York 1999/2000, S. 45-68.

 

 

Krohm 2006

Hartmut Krohm: Riemenschneider auf der Museumsinsel, Berlin 2006.

 

 

Kummer 2001

Stefan Kummer: Architektur und bildende Kunst von den Anfängen bis zum Ausgang des Mittelalters, in: Ulrich Wagner (Hg.): Geschichte der Stadt Würzburg, Band 1, Stuttgart 2001, S. 411-449.

 

 

LCI

Lexikon der christlichen Ikonographie, hrsg. von Engelbert Kirschbaum, 8 Bde., Rom/Freiburg/Basel/Wien 1968-1976.

 

 

Lichte 1997

Claudia Lichte: Trauernde Maria, in: Hans-Peter Trenschel (Hg.): 150 Meisterwerke aus dem Mainfränkischen Museum, Würzburg 1997, S. 104.

 

 

Lichte 2004A

Claudia Lichte (Hg.): Tilman Riemenschneider, Werke seiner Blütezeit, Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Mainfränkischen Museum, Würzburg 2004.

 

 

Lichte 2004B

Claudia Lichte: Tilman Riemenschneider, ein Meister der Wiederholung, in: Claudia Lichte (Hg.): Tilman Riemenschneider, Werke seiner Blütezeit, Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Mainfränkischen Museum, Würzburg 2004, S. 83-104.

 

 

Muth 1982

Hanswernfried Muth: Tilman Riemenschneider im Mainfränkischen Museum, Sammlungskataloge Mainfränkisches Museum Bd. 1, Würzburg 1982.

 

 

Sauerländer 1970

Willibald Sauerländer: Gotische Skulptur in Frankreich 1140-1270, München 1970.

 

 

Schneider 2004

Wolfgang Schneider: Hans Fries von Mergentheim, in: Claudia Lichte (Hg.): Tilman Riemenschneider, Werke seiner Blütezeit, Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Mainfränkischen Museum, Würzburg 2004, S. 195-208.

 

 

Schürmann/Lichte 2004

Manfred Schürmann/Claudia Lichte: Trauernde Maria, in: Claudia Lichte (Hg.): Tilman Riemenschneider, Werke seiner Blütezeit, Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Mainfränkischen Museum, Würzburg 2004, S. 259.

 

 

Soder von Güldenstubbe 1981

Erik Soder von Güldenstubbe: Kulturelles Leben im Würzburg der Riemenschneiderzeit, Beiheft zum Katalog der Ausstellung „Frühe Werke“ von 1981 in Würzburg. Berlin 1981

 

 

Trenschel 2004

Hans-Peter Trenschel: Tilman Riemenschneider im Spiegel der zeitgenössischen Überlieferung, in: Claudia Lichte (Hg.): Tilman Riemenschneider, Werke seiner Blütezeit, Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Mainfränkischen Museum, Würzburg 2004, S. 41-56.

               

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