Der hlg. Kilian und die Schwägerehe von Gosbert und Geilana 

mit einem kritischen Seitenblick auf Joseph Henrichs (WEIRD) Hypothesen zur grundstürzenden Wirkung christlicher Ehevorschriften auf das europäische Denken 

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In den Legenden um den hlg. Kilian, den irischen Missionar, Frankenapostel und Schutzheiligen der Diözese Würzburg, ist Kilians Versuch, die Ehe des Herzogs Gosbert  aufzulösen, Hintergrund der Ermordung des Heiligen. Gosbert, so die Legende, hatte die Witwe seines Bruders, also seine ehemalige Schwägerin, geheiratet. Kilian sah darin eine sündige Ehe, riet dem Herzog aus seelsorgerischen Gründen zur Trennung und fiel daraufhin der Rache der Ehefrau Geilana (Gailana) im Jahr 689 zum Opfer. So berichten es die etwa 60 bis 100 Jahre später schriftlich niedergelegten Legenden. Historische Belege für diese Ereignisse gibt es nicht. Nur die Existenz Gosberts ist verbürgt. In meinen Führungen werde ich häufig um genauere historische Informationen zum Konflikt zwischen Geilana und Kilian und zum Verbot der Schwägerehe gebeten. Daher will ich die beiden einschlägigen wissenschaftlichen Arbeiten zu diesem Thema hier kurz zusammenfassen:

Sie sind abgedruckt in den Würzburger Diözesangeschichtsblättern von 1989 (Band 51). Josef Schreiner behandelt dort die alttestamentlichen Hintergründe (Die Frau des Bruders, S. 233-244), Rudolf Weigand die kirchenrechtlichen Ehe-Bestimmungen Irlands und der römisch-fränkischen Kirche im frühen Mittelalter (Kirchenrechtliche Verständnishintergründe des Kiliansmartyriums, S. 245-259). 

Zusammengefasst ergeben sich zwei widersprüchliche Strömungen im alten Testament: Eine aus der nomadischen Zeit (Dtn 25, 5-10), die die Ehe mit der Witwe des verstorbenen Bruders insbesondere bei fehlendem Sohn gebietet und die Forderung aufstellt, den ersten Sohn nach dem verstorbenen Bruder zu benennen ("Leviratshehe", eine Schutzbestimmung für die Erhaltung der erbberechtigten männlichen Nachkommenschaft). Eine zweite Strömung (Lev 18,16) stammt aus der Zeit der Landnahme, die die Schwägerehe verbietet, offenbar um sich von der "Unsittlichkeit" der Kanaaniter, die solche Ehen praktizierten, abzugrenzen. Auf diese zweite Strömung berufen sich Johannes der Täufer bei der Kritik der Herodes-Ehe (Mt 14,3 u.a.) und später die Kirche der Spätantike und des Mittelalters mit ihren Ehevorschriften. Während sich die Konzile des 5. Jahrhunderts n. Chr. noch überwiegend mit der Durchsetzung der Unauflöslichkeit der Ehe befassen, wenden sich die Konzile der folgenden Jahrhunderte der Auflösung jener Ehen zu, die sie für sündig halten. Dabei wird in vorderer Reihe immer wieder die Schwägerehe genannt. Gemeint ist hier wie in der Kilianslegende die Ehe mit verwitweten Schwagern oder Schwägerinnen, die Ehe mit Geschiedenen scheidet von vornherein aus. Dahinter steht die Vorstellung, dass die Eheleute durch die Ehe (... una caro ... ein Fleisch ...) quasi eine Blutsverwandschaft zwischen den verschwägerten Familien herstellen, Gosbert in Geilana also seine Schwester heiratet. Das ging im 9.Jahrhundert so weit, dass sogar die Enkel von Verschwägerten nicht heiraten durften. Zur Zeit der Abfassung der Kilianslegenden (ca. 750 bis 800 n.Chr.) erreichte der Kampf der Kirche gegen die Schwägerehe seinen Höhepunkt. Das germanische und das römische Recht hatten die Ehe mit verwitweten Schwägerinnen erlaubt, und manche Missionare, wie Clemens, wollten sie auch weiter den germanischen Christen erlauben. Der einflussreichste unter den "Germanenmissionaren" aber, der von Rom beauftragte Angelsachse Bonifatius (ca. 672-755), war nicht nur Gründer des Bistums Würzburg, er war auch einer der schärfsten Kämpfer gegen die Schwägerehe. Er machte die Angelegenheit zu einer zentralen Glaubensfrage. 745 ließ er in Rom eine Synode zum Thema einberufen, die noch einmal alle Verbotsbeschlüsse vorangegangener Konzile bekräftigte und Clemens als "Irrlehrer" verurteilte. Dem Abweichler wurde vorgeworfen, den Christen mit der Erlaubnis zur Schwägerehe das Judentum aufzudrängen. Offenbar wurde die Leviratsehe als "jüdischer" Bestandteil des Alten Testaments angesehen, die Gegenposition als "christlicher" Teil. Das Beispiel Johannes des Täufers spielte bei dieser Differenzierung sicher eine Rolle. 

Wie aber standen nun die irischen Wandermönche des 7. Jahrhunderts, wie unser Kilian, die noch unabhängig von Rom und vor Bonifatius in Mitteleuropa missionierten, zur Schwägerehe? Auch wenn die Quellenlage dazu nicht ganz eindeutig ist, lässt sich aus den auf dem Kontinent überlieferten irischen Bußbüchern, die vermutlich von den irischen Mönchen mitgebracht worden waren, schließen, dass auch Ihnen die Schwägerehe als Sünde galt. Und sie vertraten christliche Sittlichkeit mit einer Strenge, die den germanischen Christen in Mitteleuropa bis dahin unbekannt war. Anders als es die Kilianslegenden überlieferten, waren die Menschen in Mitteleuropa bei seiner Ankunft bereits oberflächlich christianisiert. Schließlich war das Christentum seit zwei Jahrhunderten schon "Staatsreligion" im Frankenreich. Freilich praktizierten die Germanen das Christentum in einer innovativen Mischung mit ihren vorchristlichen Traditionen. Und genau dieses "Missverhältnis" zwischen christlicher Sittentheorie und germanischer Praxis war das Ziel der irischen Missionare. Ihre asketische Radikalität brachte ihnen viele Bewunderer aber auch viele Feinde. Sie kamen im Verlauf ihrer Mission häufiger und schneller ums Leben als frühere Missionare. Das Martyrium war zwar nicht unbedingt das Ziel ihrer Missionsreisen, aber durchaus eine das Seelenheil befördernde Option. Historisch gesehen ist ein Konflikt zwischen einer germanischen Adeligen und einem irischen Mönch, der Ihre Ehe auflösen will, im Jahr 689 in Würzburg also durchaus möglich. Man darf nicht vergessen, dass die Auflösung ihrer Ehe die Herzogin Geilana alles kostet, wofür sie gelebt hat. Sie selbst und Ihre Familie hatten vermutlich erhebliche politische und materielle Ressourcen aufgewandt um die Stellung als Herzogin zu erreichen. Frauen des germanischen Adels waren selbstbewußt und durchsetzungsstark. Sobald sie eine Position wie die einer Herzogin erreicht hatten, taten sie alles dafür, den Einfluss ihrer Familie in dieser Position zu sichern und einen Ihrer Söhne zum Nachfolger auf dem Posten des Herzogs zu machen. Die von Kilian verlangte Auflösung der Ehe kostet sie selbst und ihrer Familie allen Einfluss, macht ihre Söhne zu illegitimen und vaterlosen Kindern und nimmt ihnen die Chance zur Nachfolge als Herzog. Aus Kilians Sicht rettet er die Seelen der sündig verbundenen Eheleute vor dem ewigen Höllenfeuer. Aus Geilanas Sicht "vernichtet" er ihre komplette Existenz. 

Dies alles ist kein Beweis, dass Geilana und Kilian tatsächlich existiert haben. Es macht die Erzählung jedoch plausibel. 752 jedenfalls ermöglicht der glückliche Fund der Gebeine von Kilian und seinen Gefährten dem ersten Würzburger Bischof Burkard, eine starke Tradition lokaler Heiliger zu begründen und diese mit Reliquien zu beglaubigen. In diesem Rahmen werden vorhandene mündliche Legenden-Überlieferungen an die neue Bedeutung Kilians angepasst und in den darauf folgenden Jahrzehnten in drei Fassungen an drei verschiedenen Orten mit einigen Unterschieden schriftlich fixiert. Ob das Erzählmotiv des Konflikts über die Schwägerehe auf die ursprüngliche Überlieferung aus dem 7. Jahrhundert oder auf diese redaktionelle Bearbeitung zurückgeht, muss offen bleiben. Ich vermute, dass ein entspechendes Motiv in der ursprünglichen Legende bereits enthalten war, ab 752 aber pointiert ausgearbeitet wurde, um Kilian als einen Kämpfer gegen die Unsittlichkeit des Adels und damit als einen mutigen Vertreter der Idee "Gleiches Recht für Alle" zu präsentieren, der sich nicht scheute mit der Kritik an der Ehepolitik der Eliten sein Leben zu riskieren. Möglicherweise diente die so verfasste Kilianslegende den Kirchenpolitikern der Zeit auch dazu, den von den Karolingern unterstützten Versuch, die weltliche Provinzherrschaft vom "unsittlichen" Lokaladel in die Hände der Kirche zu legen, moralisch zu legitimieren. 

Dabei setze ich jedoch etwas vorraus, was in der Wissenschaft derzeit hoch umstritten ist: Dass Verwandtenehen unter den Germanen dieser Jahrhunderte im Wesentlichen nur vom herzoglichen Adel geschlossen wurden, im übrigen Volk aber als unsittlich galten. Und damit komme ich zu einem kritischen Seitenblick auf Joseph Henrichs (WEIRD) Hypothesen zur grundstürzenden Wirkung christlicher Ehevorschriften auf das europäische Denken. (In Arbeit)

 

 

 

Autor: Stadtführer und Museumsführer Rudi Held MA (2022) 

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