Die Würzburger Kreuzbergwallfahrt zurück zur Startseite Eine Zusammenfassung für das Seminar "Bräuche – Soziokulturelle Handlungsmuster zwischen Tradition und Moderne" am Lehrstuhl für Volkskunde / Europäische Ethnologie der Universität Würzburg 2009. Verfasser: Rudi Held
1.Topographie Der Kreuzberg ist mit 928 m höchster Berg Unterfrankens und damit auch des alten Fürstbistums Würzburg. Er ist dritthöchster Gipfel der Rhön, eines vulkanisch geprägten Mittelgebirges auf der Grenze der Bundesländer Bayern und Hessen. Bis zur touristischen Erschließung im 19. Jahrhundert war die Rhön ein einsamer und ärmlicher Höhenzug fern der Zentren.
2. Geschichte des Kreuzbergs und der Wallfahrt Auf dem Gipfel befindet sich eine vorgeschichtliche Ringwallanlage, die in der älteren Literatur ohne weitere Belege als Umfriedung eines Kultbezirks gedeutet wurde, deren Funktion jedoch nicht wirklich geklärt ist. Ursprünglicher Name des Berges ist „Aschberg“, oft als „Asenberg“ (germanisch für Götterberg) interpretiert, etymologisch aber eher vom althochdeutschen „azzan“ (= äsen) im Sinne eines Weidebergs der umliegenden Siedlungen und Herrschaften. Im Jahr 1000 schenkte Otto III. die den Kreuzberg einschließenden Wälder an das Bistum Würzburg. 1164 erste urkundliche Erwähnung als „Aschberg“ 1400 erste Hinweise auf ein Berg-Kreuz und zugehörige Wallfahrten zu Kreuzfesten. 1500-1600 Zulauf zur Wallfahrt trotz Bauernkrieg und Reformation. 1582 oder 1598 ließ der Würzburger Fürstbischof Julius Echter auf dem Berg ein Kreuz, Not-Hütten und eine Kapelle errichten. Dem Gegenreformator war an der Stabilität römisch-katholischer Traditionen gelegen. In der konfessionellen Unentschlossenheit seiner Zeitgenossen präsentierte er seine Kirche, die Römische, als Schutzherrin der Wallfahrt und der Kreuzverehrung am heiligen Berg. In einem machtpolitischen Sinn war die Kreuzaufrichtung auch Zeichen seines Anspruchs auf das nördlich gelegene Gebiet der Fürstabtei Fulda. 1600-1700 Die Wallfahrt wurde weiter von den Fürstbischöfen gefördert. Die Kilianslegende wurde um ein den Kreuzberg einschließendes Element erweitert: Im Jahre 686, so hieß es nun, soll der irische Missionar und spätere fränkische Bistumsheilige auf dem Kreuzberg einen Altar der Göttin Holla (in Märchen noch als Frau Holle lebendig) umgestürzt und ein Kreuz errichtet haben. Mit dieser Erweiterung folgte man dem Beispiel der Bonifatius-Legende und stellte die Kreuzerrichtung des Gegenreformators Julius Echter in einen historischen Zusammenhang zur Christianisierung Frankens im frühen Mittelalter. 1639 Die Kreuze wurden von schwedischen Soldaten zerstört. Offenbar war ihre gegenreformatorische Symbolik bekannt. Ab 1644 Betreuung der Wallfahrt durch Franziskaner. 1647 Nachdem die Wallfahrt lange Zeit nur lokale Bedeutung gehabt hatte, wurde nun eine erste Prozession der „Bruderschaft zum heiligen Kreuz in Würzburg“ aktenkundig. 1681 Nachdem das Franziskanerkloster zunächst im Tal errichtet worden war, wurden nun Kirche und Kloster am heutigen Platz erbaut. 1699-1705 Neben dem Kloster wurde ein Fürstenbau für Besuche des Bischofs errichtet. 1710 Kapellenkreuzweg. 1731 Brauerei wurde bewilligt und erbaut. 1791-1793 Der aufklärerisch gesinnte Fürstbischof von Erthal sah in den Fußwallfahrten nur unsinnige magische Rituale, die obendrein die Gesundheit seiner Untertanen gefährdeten. Er versuchte die mehrtägigen Wallfahrten abzuschaffen. Doch die Kreuzbergwallfahrt wurde weiter betrieben. 1803 Das Kloster fiel mit dem Bistum an das Königreich Bayern. In der Säkularisation durfte das Kloster keine Novizen mehr aufnehmen. Die Wallfahrt wurde nun für „schädlich“ erklärt und verboten. 1826 König Ludwig I. erlaubte dem Kloster wieder die Aufnahme von Novizen und der Kreuzbruderschaft Würzburg die Wiederaufnahme der Wallfahrt. 1941 Im Kampf der NSDAP gegen die Kirche verbot die Gestapo die Wallfahrt, offiziell „wegen der knappen Ernährungssituation.“ Die Bruderschaft durfte weiter bestehen. 1945 Wiederaufnahme der Wallfahrt von Rimpar aus. 1950-1970 Abnahme der Zahl der Wallfahrer. Seit 1970 Renaissance der Kreuzbergwallfahrt. Zuletzt ca. 600 Teilnehmer jährlich.
3. Lokale Felderprozession und überregionale Motivwallfahrt Nach den Quellen des hohen Mittelalters hatten die Umzüge am Berg zunächst den Charakter von Flurbegehungen, sie dienten der Bestätigung von Nutzungsrechten. Im späten Mittelalter wandelten sie sich zu Felderprozessionen mit der Bitte um gutes Wetter und gute Ernten. Ab dem 16. Jahrhundert stand das Kreuz Christi im Zentrum der Wallfahrt. Bis zu dieser Zeit kamen die Wallfahrer nur aus der Rhön und dem Grabfeld. Im 17. Jahrhundert kamen Fernwallfahrten hinzu. Sie werden bis heute mit Tagesleistungen von bis zu 50 Kilometern zu Fuß unternommen und dauern hin und zurück bis zu acht Tagen. Die größte Entfernung mit 120 Kilometern einfacher Strecke bewältigen die Wallfahrer aus Ochsenfurt. Da am Kreuzberg typische Merkmale anderer Wallfahrtsorte wie wundertätiges Gnadenbild, Votivkult, Gründungssage, Ablass und Krankenheilung fehlen und allein das Motiv des Kreuzes Christi mit der Hoffnung auf Auferstehung und ewiges Leben die Wallfahrer bewegt, nennt der Wallfahrtsforscher Hans Dünninger die Kreuzbergwallfahrt eine "Motivwallfahrt".
4. Die Bruderschaften - Träger der Motivwallfahrt Religiöse Laienbruderschaften gründeten sich im Mittelalter zur gemeinsamen Sorge um das Seelenheil ihrer Mitglieder. Sie halfen bei Bestattungen und hielten das Totengedächtnis wach. Weitere Ziele waren die Armenfürsorge, die finanzielle Unterstützung von Spitälern, die materielle Hilfe für Mitglieder, die Verehrung eines Heiligen oder die Pflege eines mit Christus verbundenen Glaubensinhaltes. Im Fall der Würzburger Kreuzbruderschaft war und ist dies die Verehrung des heiligen Kreuzes als Symbol der Auferstehung. Zur Praxis gehörten auch Prozessionen und Wallfahrten. Für jedes verstorbene Mitglied lässt die Bruderschaft auch heute noch eine Hl. Messe lesen und gedenkt der Toten bei Andachten und während der Wallfahrt. Heute zählt sie rund 2.300 Mitglieder, auch Frauen und Jugendliche sind als Mitglieder zugelassen. Die Aufnahme ist an keine besondere Beteiligung geknüpft. Erwartet wird die Bereitschaft, sich um ein christliches Leben zu bemühen.
5. Der Kreuzberg als Ort fränkischer Identität Seit Julius Echter war der Kreuzberg auch Symbol des politischen Herrschaftsanspruches des Fürstbistums Würzburg. Nach der Säkularisation wurde er Symbol der Eigenständigkeit der fränkischen Landesteile im Königreich Bayern. Der zuvor einsame Gebirgszug der Rhön wurde zum Kristallisationspunkt romantischer und nationaler Gefühle. Siehe im Anhang die Lieder "Der heil'ge Berg der Franken" und "Kreuzberglied".
6. Die Infrastruktur der Wallfahrt Ein Gepäcktransporter, Sanitätsfahrzeuge und ein Reisebus begleiten den Weg. Die Wallfahrer übernachten in Stadthallen, Sporthallen, Gasthöfen und privat. 250 Pilger kommen in den Schlafsälen im Kloster unter. Für die geistige und körperliche Restauration am Zielort sorgen Gottesdienst, Beichtgelegenheit, Klostergaststätte und die letzte Franziskanerbrauerei in Deutschland.
7. Die aktuelle Wallfahrtspraxis der Kreuzbruderschaft Würzburg Fester Termin der Würzburger Gruppe ist jährlich der Zeitraum vom 20. bis 24. August. Der Ablauf ist seit dem 17. Jahrhundert kaum verändert. Zu bewältigen sind 173 km Fußweg hin und zurück an 5 Tagen, am ersten Tag allein 50 Kilometer. Auf dem Weg finden zahlreiche Gottesdienste und Andachten statt. Weitere Pausen heißen „Gesundheitsrast“. Es gibt Regeln für das Tragen der Kreuze und für den geordneten Ein- und Auszug an verschiedenen Kirchen auf dem Weg. Eine Kleiderordnung soll allzu "sportliche" Kleidung verhindern. Eine strenge Prozessionsordnung begrenzt den Streit um die Position in der langgezogenen Prozession. Die Reihenfolge der Teilnehmer im Zug ist am 1./3./5. Tag Männerkreuz Männergruppe / Frauenkreuz Frauengruppe / Blaskapelle Vorbeter/ gemischte Gruppe. Am 2./4. Tag Frauenkreuz Frauengruppe / Männerkreuz Männergruppe / Blaskapelle Vorbeter / gemischte Gruppe. Die Selbstdefinition der Würzburger Wallfahrt lautet: „Es ist kein Volkslauf mit religiösem Vorzeichen, sondern ein Gottesdienst unterwegs. Exerzitien auf der Straße, Beten mit den Füßen. Singen und Beten auf dem Weg.“ Die Stadt begrüßt die rückkehrenden Wallfahrer jährlich mit einem Straßenfest, der "Zwiebelkirchweih" in der Semmelstraße.
8. Frommes Ritual, Naturerlebnis oder Bierwallfahrt? - Versuch eines aktuellen ethnologischen Blicks auf die Kreuzbergwallfahrt „Den Kreuzberg herauf kam ein endloser Zug, die einen zur Kirche, die anderen zum Krug …“ schrieb der Würzburger Theologieprofessor und spätere Kardinal Michael Faulhaber in seinem Eintrag ins Gästebuch des Klosters im Jahr 1901. Ob der Kirchenmann die Motive der „Waller“ damit ganz erfasst hat? Der Volkskundler Wolfgang Brückner nennt die Wallfahrt ein „komplexes System von Handlungsspielen“. Zahlreiche und scheinbar widersprüchliche Motive mischen sich dabei. Einerseits hat das Wallfahren etwas traditionelles, andererseits hat es als Gemeinschaftserlebnis in unserer individualisierten Kultur auch den Charakter einer sozialen Utopie. Einerseits geht es um das Gebet, um eine Begegnung mit Gott, andererseits auch um menschliche Begegnung über soziale Schichten und Generationen hinweg. Der Klostertrunk dient nicht nur dem leiblichen Genuss, er ist vor allem „Schmiermittel“ dieser menschlichen Begegnungen. Er lockert abends die tagsüber aus sportlicher Konkurrenz und hierarchischen Gruppenprozessen entstandenen Spannungen. Die Fußwallfahrt ist auch ein Gegenpol zu Elementen unserer modernen Kultur wie des Denkens in Nützlichkeitskategorien oder der leichten körperlosen Mobilität. Im Alltag steigt man mit Sport aus dieser Welt kurzzeitig aus, bei einer Fußwallfahrt gelingt dieser Ausstieg für einige Tage in einer Verbindung von Geist und Körper. Die Routine des Alltags hinter sich zu lassen und sich in neuer Umgebung auszuprobieren, könnte ein ganz ursprüngliches Motiv von Wallfahrern aller Zeiten gewesen sein. Dabei ist die Kreuzbergwallfahrt heute kein beliebiges "Event" der Freizeitgesellschaft. Denn in fünf Tagen ein vielhundertseitiges Gebetbuch mitzusprechen, zahlreiche Andachten und Messen zu erleben und endlos christliche Lieder der traditionellsten Art zu singen, setzt ein gewisses religiöses Interesse voraus.
9. Literatur: (alphabetisch) Albert, Reinhold (Hg.): Soli Deo Gloria. Kreuzberg, Wallfahrt und Kloster. Bischofsheim/Rhön 2005. Brückner, Wolfgang: Die Wallfahrt zum Kreuzberg in der Rhön. Würzburg 1997. Dünninger, Hans: Wallfahrt und Bilderkult. Gesammelte Schriften. Würzburg 1995. Götz, Gerhard (Hg.): Wallfahrtsbuch Kreuzbruderschaft Arnstein. Arnstein 1987. Sturm, Erwin: Klosterkirche der Franziskaner und Wallfahrt zum Hl. Kreuz, Kreuzberg i. d. Rhön. Schnell Kunstführer Nr. 1243. 2. Auflage. München 1983.
10. Webseiten zum Thema: www.franziskaner.de Homepage der Franziskaner in Deutschland www.kreuzbergbier.de Homepage des Franziskanerklosters Kreuzberg www.wallfahrt.bistum-wuerzburg.de Offizielle Seite über Wallfahrten im Bistum Würzburg http://uploader.wuerzburg.de/wallfahrt Homepage der Kreuzbruderschaft Würzburg
Anhang: Wallfahrtslyrik
Kreuzberg Wie viele Menschen fanden dort das Glück des Lösens von der Erden. Es ist fürwahr ein guter Ort, der jeden lässt gelöster werden.
Dem einen wird’s im Beichtstuhl leicht, der andre lobt den frischen Wind, beim nächsten Klosterbier erreicht, dass alle Sorgen leichter sind.
Noch keiner ist hinauf gewallt, der nicht gelöster kam von oben. Drum lasset uns, ob jung, ob alt, den heil’gen Berg der Franken loben.
Der heil’ge Berg der Franken (Lied-Auszug) … Der Berg ist unser Eigentum, er ist unser Vaterhaus. … … Der Herrgott reicht uns seine Hand, hier oben ist die Welt noch schön. …
Hier rauschen die Wälder, hier weht ein frischer Wind, da geht uns die Natur ins Blut, wir sind stolz, dass wir Rhöner sind.
Kreuzberglied (Auszug) Schatz, merke dir, hier gibt’s prima Klosterbier. Wer sich daran schadlos hält, dem verschönert’s die ganze Welt, dass er jodelt und ruft: „Hoch lebe die Kreuzberger Luft!“
Grüß mir die Heimat, grüß mir mein Rhönerland Mit seinen Bergen, mit seinem Saalestrand! Dort wo der Kreuzberg winkt, dort wo die Saale rauscht, ist meine Heimat, ja da
bin ich zu Haus.
Autor unbekannt. Heimatverbunden und romantisch, doch der flotten Art nach eher im 20. Jahrhundert entstanden. (Quelle: www.wallfahrt.bistum-wuerzburg.de)
Marienblume 1. Es blüht der Blumen eine auf ewig grüner Au; wie diese blühet keine, so weit der Himmel blau. Wenn ein Betrübter weinet, getröstet ist sein Schmerz, wenn ihm die Blume scheinet ins leidenvolle Herz. 2. Und wer vom Feind verwundet zum Tode niedersinkt, von ihrem Duft gesundet, wenn er ihm gläubig trinkt. Die Blume, die ich meine, sie ist euch wohlbekannt, die Fleckenlose, Reine, Maria wird genannt. 3. Maria ist's die süße, die Lilie auserwählt, die ich von Herzen grüße, die sich der Herr vermählt. Maria ist's die Reine, die also lieblich blüht, dass in so lichtem Scheine der Rosen keine blüht. 4. Erfreue, süße Blüte,
der Erde finstre Gruft; erblühe im Gemüte mit Deinem Himmelsduft! Und
Heiligkeit und Frieden verleihe unserer Brust, und nach dem Tod hienieden
des Himmels ew'ge Lust!
Traditionelles Wallfahrtslied der Kreuzbruderschaft Würzburg, gesungen zum Abschluss der Wallfahrt im Neumünster. Autor unbekannt. Eventuell auf einem Urtext der Barockzeit basierend. In dieser Version jedoch vom Leid der Kriegserfahrung geprägt und vermutlich während des ersten Weltkriegs entstanden. Quelle: http://uploader.wuerzburg.de/wallfahrt)
Autor: Stadtführer und Museumsführer Rudi Held Stichworte: Wallfahrt Würzburg Kreuzberg Bruderschaft
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